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Ein Gespräch mit Gilberto Rios Munguia

Interview: Thorben Austen, Quetzaltenango | junge Welt vom 03.12.2021

In der Republik Honduras konnte bei den Präsidentschaftswahlen am Sonntag die linke Kandidatin Xiomara Castro von Ihrer Partei einen deutlichen Sieg davontragen. Nasry Asfura von der abgewählten rechten Nationalen Partei gestand seine Niederlage bereits ein. Doch noch sind nicht alle Stimmen ausgezählt. Machen Sie sich Sorgen, dass die Auszählung der verbleibenden knapp 50 Prozent so langsam vonstatten geht?

Nein, denn wir sind sowohl in der Nationalen Wahlbehörde als auch im Wahlgerichtshof mit Repräsentanten vertreten, ebenso wie die Nationale Partei und die Liberale Partei. Am Dienstag hatte Asfura die Wahlsiegerin Casto zu Hause besucht und ihr zum Erfolg gratuliert. Wir haben keine Zweifel mehr: Sie ist die nächste Präsidentin von Honduras.

Welches Selbstverständnis hat Ihre Partei?

Die Libertad y Refundación, kurz Libre, ist die Antwort von organisierten Teilen der Bevölkerung wie der Regierung von Manuel Zelaya auf den Putsch vom 28. Juli 2009. Im Juni 2011 gegründet, ist unsere Partei nur rund zehn Jahre alt, aber sie hat Strukturen überall im Land. 2013 nahmen wir an der Wahl teil, ebenso 2017. Beide waren von enormem Betrug überschattet. Damals gab es starke Repression, politische Morde, Inhaftierungen. Es ist uns aber gelungen, eine Allianz zu schaffen von linken Kräften bis zur rechten Mitte gegen die Regierung von Juan Orlando Hernández. Hernández und die Nationale Partei sind ein Instrument der Oligarchie und nordamerikanischer Interessen. Libre ist eine progressive, revolutionäre, sozialistisch-demokratische Kraft.
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Was sind Ihre Ziele für die nächsten vier Jahre?

74 Prozent der Menschen in Honduras leben in Armut, 53 Prozent in extremer Armut. Wir haben einen nationalen Notfall in den Bereichen Gesundheit, Bildung und Sicherheit. Das öffentliche Gesundheitssystem ist kollabiert. Hier werden unsere Schwerpunkte liegen – mit sozialen Programmen und überhaupt dem Versuch, diese Bereiche erst wieder in die Verantwortung staatlicher Institutionen zurückführen. Die Wahlen wurden in öffentlichen Schulen durchgeführt, da konnten wir deren Zustand sehen: kein Wasser, kein Strom, kaputte Dächer. Wir werden versuchen, die staatlichen Bereiche wieder auszubauen und in ihrer Qualität zu verbessern. Wir werden die Finanzbehörden kontrollieren, um sicherzustellen, dass das große Kapital Steuern bezahlt. Und wir müssen die Korruption eindämmen. Im Moment versickert ein Drittel des Staatshaushaltes.

Ihre Partei hat zuletzt öffentlich an im Zuge von Protesten ermordete Genossinnen und Genossen erinnert und sich bei diesen für ihren Einsatz bedankt. Planen Sie eine juristische Aufarbeitung?

Xiomara Castro hat bereits zugesagt, sich für eine Wiedergutmachung für die Familien der Ermordeten einzusetzen, ebenso für andere Opfer der Repression, für die politischen Gefangenen und die Menschen, die gezwungen waren, aus politischen Gründen ins Exil zu gehen. Mit einer juristischen Aufarbeitung ist es im Moment schwierig, bis 2024 sind die zentralen Institutionen wie die Generalstaatsanwaltschaft und der oberste Gerichtshof fest in der Hand von Vertrauten der Nationalen Partei. Erst 2024 kommt es dort turnusgemäß zu Neubesetzungen.

Zu den ersten Gratulanten gehörten die Staatschefs aus Venezuela und Nicaragua, Nicolas Maduro und Daniel Ortega. Wie werden sich die internationalen Beziehungen unter Xiomara Castro entwickeln?

Zunächst müssen wir sehen, wie sich die Beziehungen zu den USA entwickeln – eine Macht in unmittelbarer Nähe zu Honduras, die uns stets wie eine Kolonie behandelt hat. Wir sind aber ein unabhängiges Land. Wir sind an friedlichen, gleichberechtigten Beziehungen interessiert, da haben wir zuletzt positive Signale von der Biden-Regierung erhalten. Wir werden wirtschaftliche und diplomatische Beziehungen mit China führen. Das bedeutet auch, dass wir die diplomatischen Beziehungen der Regierung der Nationalen Partei zu Taiwan abbrechen werden. Wir sind Teil der lateinamerikanischen Linken und werden intensive Beziehungen zu den linksregierten Ländern führen: zu Kuba, Nicaragua, Venezuela und Bolivien. Wir streben die Einheit Lateinamerikas an.

 

Gilberto Rios Munguia ist leitendes Mitglied der honduranischen Partei Libertad y Refundación (Libre) und Mitglied der internationalen Kommission 

 

 

 

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